Derrick, Kommissar Rex, Alarm für Cobra 11.. deutsche Polizisten jagen auf Fernsehbildschirmen in der ganzen Welt erfolgreich auch die gewieftesten Übeltäter und nicht ein Krimineller entkommt ihnen unbestraft. So sind Deutsche und Nichtdeutsche weltweit überzeugt, Deutschland und im speziellen München ist der sicherste Ort überhaupt. Glaubt man den Statistiken, dann ist München weltweit eine der zehn sichersten Großstädte, in der nahezu alle Verbrechen aufgeklärt werden. Teilweise trifft das bestimmt auch zu, allerdings weniger wegen der guten Polizeiarbeit, sondern vielmehr aufgrund der schon fast zwanghaften Gesetzesfurcht der Deutschen. Doch an Kommissar Rex und seinen Kollegen liegen die guten Statistiken bestimmt nicht. Woher ich das weiß? Weil ich bei der Entstehung einer solchen Statistik dabei war!
Ich bin Lehrerin in einer privaten Deutschschule. Unsere Studenten, meist 18-jährige Teenager aus ziemlich privilegierten Familien, kommen für einige Wochen nach München, um einen Intensivkurs zu machen, viele Leute kennen zu lernen, Bier zu trinken und den Spaß ihres Lebens zu haben, bevor sie in ihre Länder zurück fahren um ihr Studium zu beginnen.
Einer dieser Studenten war eines Abends nach dem Ausgehen auf dem Nachhauseweg in seine Gastfamilie in Großhadern, als er von drei deutschen Jugendlichen überfallen wurde.
Sie hatten ein Messer, mit dem sie um ihn ein bisschen zu erschrecken, an seinem T-Shirt herumschlitzten. Ernsthaft verletzt haben sie ihn nicht. Aber sie sind mit seinem Handy, seinem Ipod und 40 Euro Bargeld abgehauen.
Weil der Student nicht so gut Deutsch sprach, bin ich am nächsten Tag mit ihm zur Polizei gegangen, um die Täter anzuzeigen.

Er hat den überaus freundlichen Polizisten die ganze Geschichte erzählt. Die Polizisten zeigten sich sehr interessiert daran, den Fall aufzuklären und das sichere Image Münchens wiederherzustellen und fragten nach: „Waren die Täter Südländer?“ (Was ist denn Südländer bitte überhaupt für eine Bezeichnung? Wer ist denn ein Südländer? Ist zum Beispiel ein Österreicher ein Südländer? Oder ein Argentinier? Oder ein Neuseeländer?) Mein Student verneinte, „nein, es waren Deutsche.“
„Naja, er ist ja kein Deutscher, er weiß vielleicht nicht, wie Südländer aussehen.“
„Wir haben in Belgien auch Südländer,“ erklärte der blonde blauäugige Belgier, „es waren definitiv Deutsche“
Der Kommissar wollte es aber genau wissen: „Hatten die Täter dunkle Haare?“
„Nein, hatten sie nicht.“
„Hatten sie große Nasen?“
Nachdem der Belgier auch das verneint hatte, machten sie ihr Protokoll fertig und baten uns um etwas Geduld, bis sie den Fall aufklären. Sie würden sich dann melden. Und tatsächlich, schnell und gründlich wie von mir, dem Belgier und dem Rest der Welt nicht anders erwartet, meldeten sich die ermittelnden Polizisten schon einige Tage später und baten uns, zurück auf die Wache zu kommen.

Voller Spannung und Vorfreude auf gefundenes Handy und Ipod machten wir uns auf den Weg.
„Wir haben alles herausgefunden,“ erklärte uns der Kommissar, stolz wie Monsieur Poirrot bei der Auflösung des Mordes im Orientexpress, „wir haben das zerschlitzte T-Shirt im Labor spurentechnisch untersucht, und haben dabei herausgefunden, dass die Art wie das T-Shirt zerschnitten wurde, auf keinen Fall von außen, sondern nur von innen heraus passiert sein kann. Das heißt, er hat sein T-Shirt selbst zerschnitten, weil er Heimweh hat und nach Hause will. Gerade letzte Woche hatten wir genau den gleichen Fall mit einem anderen belgischen Studenten. Außerdem ist die Tat völlig atypisch und kann so wie von ihm geschildert gar nicht passiert sein. Und wenn der Belgier nicht sofort die Anzeige zurückzieht, dann zeigt ihn die deutsche Polizei an wegen Behinderung der Polizeiarbeit.“
Natürlich hat er die Anzeige unter Beteuerung, dass es aber genau so wie berichtet passiert sei, zurückgezogen. Und das erklärt gleich, warum in München so wenige Straftaten passieren, und wenn dann nur von Ausländern begangen werden. Warum sich zu viel Mühe machen, wenn man einfach sagen kann, es ist nicht passiert?

Aber auch in Fällen, von denen man annehmen könnte, dass sie leicht aufzuklären wären, ist die Polizei schlicht und einfach zu faul.
Ich selbst habe das erlebt, als ich in meinem eigenen Klassenzimmer ausgeraubt worden bin. Ich hatte in der Pause wie jeden Tag in den vergangenen 10 Jahren meine Handtasche im Klassenzimmer gelassen. Und in der Tasche waren mein Geldbeutel und mein Handy, und im Handy die Pinnummern der Karten. Im Nachhinein weiß ich, dass das keine gute Idee war. Aber es ist eine kleine private Sprachschule in einem Hinterhof in Schwabing und ich hatte einfach nicht damit gerechnet. Auf jeden Fall komme ich aus der Pause zurück und stelle fest, dass Handy und Portemonnaie aus meiner Tasche verschwunden waren. Allerdings musste ich noch 90 Minuten unterrichten, bevor ich die Karten sperren und zur Polizei gehen konnte. Dies tat ich dann sofort nach dem Unterricht. Die Polizisten waren wie immer unheimlich hilfsbereit und nahmen ihren Bericht auf. Nur mit der Rechtschreibung war es etwas kompliziert.
„Mir wurde mein Portemonnaie gestohlen“ gab ich zu Protokoll.
„Por…“ tippte der Beamte, hielt kurz inne, löschte das Geschriebene, schrieb wieder „Por..“, dachte kurz nach und löschte es wieder. Nach dem Löschen des dritten „Por“ ging das Tippen plötzlich fließender. Ich guckte in den Computer, da stand „mir wurde mein Geldbeutel gestohlen“. Auf meine Frage, ob man das Handy nicht orten lassen könnte, wurde mir aber mit großem Bedauern mitgeteilt, dass gehe leider nur in dem Fall, wenn der Täter in Gefahr wäre, wegen Täterschutz.
Das dicke Ende kam dann einige Tage später. Meine Bank teilte mir mit, dass von jeder der drei Karten in meinem Por.. Por.. Geldbeutel je 1000€ abgehoben worden waren und mit einer der drei wurden zusätzlich MVV-Tickets im Wert von 500€ gekauft. Glücklicherweise stand auf den Kontoauszügen, genau in welcher Bankfiliale und um welche Uhrzeit abgehoben wurde. Ich nahm an, dass der Fall leicht zu klären sei. Es muss einer meiner Schüler gewesen sein, zwei hatten sich nach der Pause verabschiedet und Bank wie U-Bahnhof waren selbstverständlich videoüberwacht. Meine einzigen Kenntnisse über die deutsche Polizei stammten bis dato auch aus Krimiserien, in denen selbst die ausgebufftesten Täter von schlauen Polizisten überführt wurden. Also rief ich täglich in der Bank und bei der Polizei an und versuchte sie dazu zu bewegen, die Videobänder abzuholen und reinzugucken.
Nach einem Monat bekam ich von der Polizei ein Schreiben: „Die Ermittlungen wurden eingestellt, weil der Täter nicht ermittelt werden konnte“! Natürlich konnte er nicht ermittelt werden, weil niemand die 100m zur Bank zu gehen und die Bänder abzuholen und mal reingucken wollte. Ich bin sicher, Kommissar Rex hätte den Täter gefunden.

Und diese Geschichte ist nicht die einzige von dieser Sorte. Einer Freundin wurde im videoüberwachten Supermarkt der Geldbeutel aus der Handtasche geklaut. Einer anderen Bekannten hat ihr Ex-Freund den gemeinsamen Sohn in den Irak entführt. Einen Monat nach der Anzeige stürmte die Polizei seine Münchner Meldeadresse, an der er sich überraschenderweise nicht aufhielt. Noch heute ist das Kind verschwunden, aber die Polizei ruft einmal pro Woche die Frau an, um nachzufragen, ob sie immer noch nicht seine irakische Adresse herausgefunden habe.

Wenn man das alles hört, könnte man glauben, die bayrische Polizei sei faul und untätig. Aber so ist es nun wirklich nicht!

Vor einigen Monaten hat die Münchner Polizei die Aktion „gscheid radln“ ins Leben gerufen. Und seitdem verstecken sie sich fleißig wie die Ameisen entlang der Leopoldstraße und des Altstadtrings hinter jedem Busch, um auch wirklich jedem bösen Radfahrer das Handwerk zu legen, der es wagt, alkoholisiert, telefonierend, das Telefon in der Hand haltend oder –Gott behüte- über rot zu fahren. Und da das jedes Mal einen handfesten Tatbestand liefert, wird auch die Statistik der aufgeklärten Straftaten immer erfolgreicher. Und bei solchen hintertückischen Vergehen ist es auch mit einer reinen Geldstrafe von ein paar hundert Euro nicht getan. Fußgänger, die über rot gehen, müssen zum Verkehrsunterricht, angetrunkenen Fahrradfahrern entziehen sie nicht nur den Autoführerschein, nein, wenn sie einen haben kommt auch der teuer bezahlte Segelschein weg. Und einem betrunken radelnden Zahnarzt wollten sie seine Zulassung entziehen. Was nur dadurch verhindert wurde, dass er über 1000€ für eine Vorbereitung zur MPU bezahlen durfte, wo ihm eingeschärft wurde, er solle schwören früher ein Alkoholproblem gehabt, heute aber sowohl dem Alkohol als auch seinem gesamten früheren Freundeskreis abgeschworen zu haben. Und fragt man jeden Anwalt, so ist das die einzige Aussage, mit der man seinen Führerschein zurück bekommt.

Die anderen Länder sollten sich ruhig ein Beispiel an den tüchtigen deutschen Polizisten nehmen. Immer mehr aufgeklärte Straftaten! Und die Staatskasse, aus der Derrick und Co. wiederum bezahlt werden, wird auch aufgestockt. Neulich eine Schlagzeile der Abendzeitung „Triebtäter kommt frei und vergewaltigt sofort ein kleines Mädchen“ und auf der selben ersten Seite links oben: „Münchner Polizei jagt Radl-Rambos auf der Leopoldstraße“. Klar, sorry, kleines Mädchen, waren gerade mit Wichtigerem beschäftigt.

Eine Bekannte hat neulich ihre Handtasche im Auto gelassen. Als sie zum Auto zurückkam, war das Fenster kaputt und die Handtasche weg. Bei der Polizei angekommen wurde sie erst mal gebeten Strafe zu zahlen. Wegen Anstiftung zum Raub. Und auf erstaunte Nachfrage beim Polizisten, ob heute eigentlich der erste April sei, wurde sie darauf aufmerksam gemacht, dass sie bei einer weiteren solchen Äußerung gleich noch was wegen Beamtenbeleidigung drauflegen könne.

Ja, wir haben Glück, in so einer sicheren Stadt zu leben! Und die deutsche Polizei ist toll! Das weiß die ganze Welt. Leider kann uns niemand helfen, wenn wir bestohlen oder ausgeraubt werden. Aber wir können uns ganz sicher sein: Jeder miese, hinterhältige, lebensbedrohliche Radl-Telefonierer wird umgehend, und mit der größtmöglichen Härte aus dem nächsten Gebüsch heraus bestraft.

Meine ersten Erfahrungen mit der katholischen Kirche machte ich in der ersten Klasse –Pfarrer, Beichtstuhl, Schuld und Sühne und alle sieben Todsünden inklusive. In der Sowjetunion, wo ich bis zu meinem siebten Lebensjahr gelebt hatte, war Religion Opium fürs Volk. Generationen von Russen wurden atheistisch erzogen. Es gehörte zwar zur höheren Bildung, die Bibel gelesen zu haben, aber im literarischen Sinne, nicht als Glaubensgrundlage.
So staunten meine Eltern nicht schlecht, als ihrer kleinen Tochter der katholische Religionsunterricht in Deutschland nicht nur großen Spaß machte, das Kind hatte sogar eine konkrete Vorstellung von Gott und kniete sich bei jedem Kirchenbesuch –ob in Rom oder Jerusalem- hin, um sich zu bekreuzigen.

 

Und dann kam der nächste Schritt: Unsere Klasse sollte zur Beichte gehen.
Jedes Kind verbindet mit dem Anfangsbuchstaben seines Nachnamens irgendwelche unangenehmen Erfahrungen. Bei mir war es die Schlusslichtfunktion des W im lateinischen Alphabet. Sei es eine Spritze beim Schularzt, die Abnahme irgendeiner unangenehmen Sportdisziplin oder die Zeugnisausgabe –immer war ich als letzte dran, immer musste ich am längsten warten, hoffen und bangen. So eben auch bei der Beichte.
Schon auf dem Weg zur Kirche bekam ich panische Angst. Später erfuhr ich von meiner Schulfreundin Leni, dass man Sachen beichten kann wie „ich habe einen Keks aus der Küche geklaut“ oder „ich habe das Fahrrad meiner Schwester kaputt gemacht“. Das alles hätte ich problemlos erfinden können, aber ich konnte einfach nicht glauben, dass es sich bei so einer seriösen, groß angekündigten Beichte um solch lächerliche Lapalien handeln könnte.
Unsere Religionslehrerin hatte uns nämlich vorher ganz ausdrücklich gebeten, uns über unsere Sünden ernsthafte Gedanken zu machen. Und besonders ich, die ich noch nie gebeichtet hatte.. Da dachte ich schon, es sollte sich um ein richtig schweres Vergehen handeln.

An besagtem Tag standen wir paarweise in der Kirche. Die ersten Kinder kamen dran. Alle gingen ganz selbstbewusst rein, als ob sie tausend Sünden begangen hätten, blieben eine Ewigkeit drinnen und kamen dann, wie mir schien, ganz erleichtert wieder raus. Als hätte der Pfarrer sie von jeglicher Schuld befreit.
Nur ich saß da und zerbrach mir den Kopf. Aber mir fiel einfach nichts ein. Welche Sünden könnte ich beichten?
In meinem Kopf ging ich alle zehn Gebote durch. Ich könnte erzählen, ich hätte jemanden umgebracht –aber was soll ich sagen, wenn man mich fragt wen? Und was habe ich mit der Leiche gemacht? Ich war ja nicht groß genug, um eine Leiche zu schleppen, geschweige denn, sie im Wald zu vergraben. Und dann würde er mir sicher lauter Fangfragen stellen und herausfinden, dass ich gar nicht gesündigt hatte – und das wäre peinlich.
Ehebruch kam im Alter von sieben Jahren auch nicht unbedingt in Frage.
Auch der Diebstahl von irgendeinem großen Gegenstand kam mir eher kompliziert darzustellen vor. Und dann die vielen Fragen! Ich hatte nicht mehr die Zeit, mir so viele Details auszudenken. Es musste eine ganz konkrete, in sich geschlossene Todsünde sein!
Dass ich meine Eltern nicht ehrte, könnte ich schon sagen, aber wie sollte ich das anders formulieren? Und weshalb sollte ich sie nicht ehren? Und wie äußert sich das überhaupt, wenn jemand seine Eltern nicht ehrt?
Und das Schwimmbad unserer Nachbarn zu begehren, kam mir auch doof und gar nicht so sündhaft vor, zumal ich auch immer darin baden durfte.
Es gab eigentlich nur ein Gebot, das ich glaubhaft umformulieren konnte.
Mittlerweile waren schon alle Kleins dran gewesen und alle Schmids und sogar die Ullrich. Und dann war ich an der Reihe. Etwas unbeholfen kletterte ich auf den hohen Beichtstuhl, und während ich das Gesicht unseres Dorfpfarrers durch das Gitter betrachtete, überlegte ich immer noch krampfhaft, ob mir nicht doch noch etwas Besseres einfallen würde. Doch schließlich gab ich mich damit zufrieden, dass mir überhaupt etwas eingefallen war.
Mein Gott, hoffentlich war das jetzt auch Sünde genug!

„Tochter, beichte mir deine Sünden“ oder so etwas in der Art sagte der Dorfpfarrer.
„Na gut,“ sagte ich, „ich fürchte, ich habe nur eine. Aber sie ist relativ groß. Also, ich glaube, meine einzige Sünde ist, dass ich nicht an Gott glaube.“
Der Pfarrer sagte kein Wort. Die Sekunden der Stille machten mir Angst. Am Ende hatte er vielleicht nicht gehört, dass ich gesagt hatte, ich hätte nur eine und wartete jetzt doch noch auf einen Mord. Nach einigen sehr langen Sekunden fing er sich wieder und sagte: „Na gut, ähm, dann bete doch fünf Mal das „Vater unser“ und denke darüber nach, dass Jesus alle Kinder liebt.“
Nachdem der Pfarrer meiner Religionslehrerin von meiner Beichte erzählt hatte, musste ich nie mehr zur Beichte gehen. Ich musste nicht einmal mehr mit in die Kirche gehen. Was ich wirklich schade fand. Denn eines konnte man damals wirklich noch nicht von mir behaupten: dass ich nicht an Gott glaubte.

Ich bin ein Ausländer. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich leide nicht darunter. Zumindest nicht so, wie Sie sich das jetzt vorstellen. Es ist eher eine Art körperliches Leiden- meine Ohren werden gequält, und meine Zunge muss immer wieder das selbe wiederholen.
Sie müssen sich das ungefähr so vorstellen: Ich befinde mich auf einer Party und werde vorgestellt: „…und das ist meine Freundin Olga.“
“Holger?“

 

„Nein, Olga.“ Das ist ein Test. Was fällt Ihnen dazu ein? Ja, denken Sie auch an den Fluss? Genau! Dann haben Sie ins Schwarze getroffen. Denn beim leisesten Erwähnen meines Namens kriege ich es zu hören: Olga von der Wolga. Und wenn der Teufelskreis erst mal begonnen hat, gibt es kein Zurück mehr:

„Kommt deine Mutter aus Russland?“
„Ich komme aus Russland. Ich bin Russin.“
„Ach wirklich? Das ist ja interessant!“
Mein Gesprächspartner schaut an mir rauf und runter, weil er erstens gar nicht mit so spannendem Gesprächsstoff meinerseits gerechnet hätte und zweitens, um eine kleine Balalaika in meinen Händen zu entdecken, mein Parfüm nach einer dezenten Wodkanote zu überprüfen oder aber um zu sehen, ob –wenn man mich in der Mitte aufklappt- eine zweite, kleinere Olga rausspringt. Und dann kommt sie, die zweite Frage –und die kommt immer: „Wie kommt es denn, dass du so gut Deutsch sprichst?“

„Und wie kommt es, dass du so gut Deutsch sprichst?“ will ich dann immer zurückgeben oder wenigstens „Goethe-Institut Intensivkurse“ sagen. Aber meistens habe ich dann doch Mitleid mit meinem wissbegierigen Gegenüber und sage die Wahrheit: Ich war erst sieben, als wir nach Deutschland gekommen sind, und als Kind lernt man Sprachen sehr schnell.

„Aber Russisch ist doch deine Muttersprache.“
Nein. Für mich bedeutet Muttersprache nicht die Sprache, die meine Mutter spricht, sondern die Sprache, in der ich mich zu Hause fühle. Und das ist für mich Deutsch. Die Klugen geben hier die Sprachfrage auf, andere versuchen durch Heranziehen eigener Beispiele, mich ihrer Verbundenheit zu versichern. Wenn jemand zum Beispiel erzählt, er habe Krebs, so kann er sicher sein, dass er hören wird: „Weißt du, der Bruder des Onkels meiner besten Freundin hatte auch Krebs…“ Damit wollen Menschen einem zeigen, dass sie genau wissen, wie man sich fühlt. Naja, so auch in meinem Fall. „Weißt du, ich kenne einen Türken, der ist hier geboren, aber er spricht trotzdem mit Akzent Deutsch.“ Das tut mir leid. Wirklich. Sobald die Frage geklärt ist, dass ich zwei bis drei Muttersprachen habe (ich habe in meiner Kindheit auch zwei Jahre in den USA gelebt), wechselt das Gespräch in eine wissenschaftlichere Phase:
„In welcher Sprache denkst du?“ Ich meine, ich finde es ziemlich logisch, dass man immer in der Sprache denkt, in der man gerade spricht. Ich fände es ziemlich unpraktisch, immer auf Russisch zu denken, während ich versuche Englisch zu sprechen. Und dann noch der Mythos, dass man immer in seiner Muttersprache zählt. Gut, vielleicht wenn ich versuche, die Wurzel aus 1579 zu ziehen, aber ansonsten… Und wenn wir dann schon bei der Mathematik sind, ziehen die Gesprächspartner sieben von 36 ab, setzen das Ergebnis mit den Jahreszahlen gleich und sagen erstaunt:
„Dann seid ihr also 1980 aus Russland emigriert. Wie war das denn damals nur möglich?“
Und dann erzähle ich sie, die herzzerreißende Geschichte meiner Familie. Mein Vater wurde aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen, vom KGB verfolgt, sie haben sogar versucht, ihn umzubringen, und ihn schließlich vor die Wahl gestellt, nach Osten oder nach Westen auszureisen. „Was für ein Glück für deine Familie!“
„Glück? Naja, meine Eltern waren nicht so begeistert. Stell dir vor, du müsstest für immer wegziehen, ohne jemals wiederkehren zu dürfen, ohne jemals deine Freunde und Familie wiedersehen zu können.“
Bedrücktes Schweigen.
„Und woher in Russland kommst du?“
Die Erleichterung, die mein Gesprächspartner verspürt, wenn ich Moskau sage, ist immens. Die Angst, ich könnte eine andere als eine der beiden bekannten Städte nennen, fällt wie eine Lawine von ihm ab. Wirklich, stellen sie sich vor, ich würde Irkutsk sagen, Norilsk oder Krasnojarsk. Und Sie müssten zugeben, noch nie davon gehört zu haben. Glück gehabt!
Jetzt ist das Gespräch auch schon fast überstanden. Nur noch ein paar verwunderte Feststellungen:
„Du bist Russin und trinkst keinen Wodka?“ (Na und? Du trinkst Wein und bist auch kein Franzose!) Einmal hat sich ein junger Mann, mit dem ich gezwungen war, fünf Stunden im Auto auf dem Weg nach Wien zu verbringen, die ganze Fahrt lang darüber totgelacht, dass ich Russin bin und trotzdem friere. Aber danach kommt nur noch die Frage nach der heutigen Situation in Russland, und was ich, als Experte sozusagen, prophezeien würde. Dann ist das Vorgespräch beendet, und ich kann entweder mit diesem Menschen weiter über Politik plaudern oder aber jemand neuen kennen lernen und von vorne anfangen.
Deshalb sind die meisten meiner Freunde auch international.
Meine österreichische Freundin in den USA wird übrigens ständig gefragt, ob sie oft Kängurus auf der Straße sieht, meine schwedische Freundin in Spanien, ob sie im deutschen oder französischen Teil Schwedens lebt. Ich kann ihnen allen nur raten, auch so einen Artikel zu schreiben. Denn von heute an werde ich ihn überallhin mitnehmen –oder ihn mir gleich aufs T-Shirt drucken lassen-, damit ich in Zukunft auf Partys gleich zum Small Talk übergehen kann.